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Schnurgerade nach Süden

Gegenüber ist Argentinien

Die Wolken der letzten Tage haben einer prallen Sonne Platz gemacht, die jetzt erbarmungslos auf uns herunter scheint. Natürlich ist es wieder früher Nachmittag, bis wir endlich losgehen.
Schattenlose Straße und die Rucksäcke gefühlt schwerer als die letzten Male.
Eigentlich wollen wir die Dreiviertelstunde zur Autobahn laufen, die letzten Tage wirkte es auch eher nach einem schönen Spaziergang mit frischem Wind im Nacken. Jetzt sind wir nach ein paar Minuten k.o.
Wir sind an der Hauptstraße, halten direkt das erste vorbeifahrende Auto an, was uns die paar Minuten mitnimmt.
Euphorisch von dem schnellen Erfolg suchen wir uns wieder einen geeigneten Platz, wir sind gut sichtbar und hinter uns Platz zum Halten. Ein Auto mit großer Uruguay-Flagge hält, ein älteres Paar und wahrscheinlich die Enkeltochter, alle sehr gut gelaunt. Und auf dem Weg zur Vereidigung des neuen Präsidenten, bei dem wir froh sind, ihn nicht mehr vor Ort zu erleben.
Trotzdem verstehen wir uns mit den dreien überraschend gut, auch wenn wir jedes politische Thema vermeiden und werden an der richtigen Straße rausgelassen.

Verstaut zwischen Kartoffeln

Immer noch im Dunstkreis Montevideos, ärmliche Gegend aus kleinen Blockhütten, mit Müllcontainern hinter den Gärten und gelangweilten Männern vor lauten Musikboxen.
Ein kleiner Laster fährt vorbei, wir schauen schon nicht mehr hinterher, als er am Standstreifen zu uns zurück fährt. Zweisitzer mit einem Paar um die vierzig, für uns werden die Kartoffelsäcke auf der Ladefläche umgeräumt und wir haben ein gemütliches Nest zwischen den Knollen. Nach gut zwei Stunden mit Blick in alle Richtungen, die Planen hochgeklappt, werden wir nach kleinem Umweg am Ortsausgang im Schatten rausgelassen, kaufen uns am Straßenrand aus riesigen Körben ein zuckrig, klebrig, buttriges Irgendwas, Blätterteig-dulce-de-leche-Teilchen und stehen wieder an der Straße. Beste Laune, der Tag pausenlos gut, die Sonne angenehm warm und zur Not die Möglichkeit direkt hier zu übernachten.
Von Montevideo könnte man mit der Fähre auch direkt nach Buenos Aires fahren, an verschiedenen Stellen hat man die Möglichkeit den Fluss zur argentinischen Hauptstadt zu überqueren, aber wir wollen uns den Ticketpreis sparen und über die deutlich nördlichere Brücke trampen.

Für jeden eine freie Ecke

Wenn man länger an der Straße wartet kommt bei uns irgendwann der Punkt, dass man sich regelmäßig bei Fahrerïnnen denkt, sie seien gerade schon vorbei gefahren. Oder das Auto, dem man vor fünf Minuten hinterher geschaut hat, hatte die selbe Delle wie das, welches gerade an einem vorbei fährt. Der LKW mit der gleichen Ladung und der selbe schwarz-weiße Hund, der aus dem Fenster hechelt. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit bilden wir es uns ein. Diesmal nicht. Für unsere nächste Fahrerin sind wir die ersten Tramper, die in das Auto dürfen und wir verdanken es vor allem Roald Dahl, seiner Kurzgeschichte ‚The Hitchhiker‘. Mit Sol verstehen wir uns auf Anhieb, können uns auf Englisch und sogar ein paar Brocken Deutsch über Gott und die Welt unterhalten und machen uns mit ihr spontan auf den Weg nach Colonial, einer Hafenstadt in Uruguay mit unfassbar schöner, gut erhaltener und restaurierter, kolonialer Altstadt. Und verwerfen damit unseren Plan, im Norden über die Brücke zu trampen, sondern nehmen am nächsten Morgen, nur halbwegs ausgeschlafen nach vorabendlichem, gemeinsamem Wegbier-Stadterkunden, die Fähre nach Buenos Aires. Zu ihr nach Hause, vom schwarzen Kater Berlin begrüßt und beschäftigt.

Mal wieder am Hafen

Eine Woche verbringen wir in der Hauptstadt, in Bars und in Häuserschluchten, mit Flaschen voll Wein an kleinen Tischen in den letzten Sonnenstrahlen und mit frischem Tattoo Richtung Süden.

Viel beschäftigte Babykatze

Es hat gedauert, bis wir einen Reiserhythmus gefunden hatten, einen Alltag in ständig wechselnden Orten und Routine bei immer neuen Menschen. Wir fühlen uns angekommen und machen uns erstmals komplett planlos auf den Weg. Auf einen Weg, auf irgendeinen.
Wir wollen Patagonien entdecken, wieder Berge sehen und vielleicht bis zur südlichsten Spitze des Kontinents, bis Tierra del Fuego. Feuerland. Über 3000 Kilometer, bis man nicht mehr weiter kommt. Wir immer genug Essen für ein paar Tage dabei, genug Wasser, um damit stranden zu können. Unsere Tramptage fangen nach einem Kaffee an und hören noch im Sonnenlicht auf, mit genug Zeit trotz 1,5 Liter Topf ein schönes Abendessen zu kochen und nicht mehr wie am Anfang, nicht der Maxime folgen, möglichst viel Strecke zu machen. Noch vor dem Sonnenaufgang LKW ansprechen und bis man nicht mehr zu sehen ist an der Straße zu stehen. Wie schnell schafft man den Weg?
Nach solchen Tagen braucht man erst einmal Ruhe, inzwischen ist der Reisestil ausgewogener und wir machen uns Anfang März auf den Weg aus den vollen Straßen Buenos Aires in die kaum besiedelten Weiten des Landes.

Bushaltestelle

Aus der Stadt raus mit dem Bus, doch erstmal muss man die Haltestelle finden. Gut, wir erwarten kein Häuschen mit Fahrplänen, elektrischen Anzeigen, in wie viel Minuten der Bus kommt und Stadtplänen.
Aber in Buenos Aires muss man suchen und erfragen. Ab und zu ist ein Sticker an einem Laternenpfahl mit einer Nummer der Linie, ab und zu ist diese eingeritzt in den Baum. Mal steht was am Straßennamensschild und ganz selten gibt es Schilder, wo tatsächlich ein H und die entsprechenden Busnummern drauf sind. Oftmals auch mehr oder weniger.
Aber gerade die kleinen Haltestellen in den Nebenstraßen sind schwer zu finden. Vor allem, wenn nicht gerade eine Traube Menschen wild winkend an einer Ecke steht. Wir fragen bei einer älteren Frau nach, die mit uns zusammen Bäume und Straßenschilder nach der Information sucht und irgendwann eine versteckte 96 findet. Hier sind wir richtig. Nächste Aufgabe ist dann immer, den Bus zum Halten zu bringen. Je nach Motivation der Busfahrerïnnen fährt das Fahrzeug gemütlich auf der Suche nach Fahrgästen oder rast mit Scheuklappen durch die Straßen. Unser Busfahrer gehört zur zweiten Sorte, ist schon beim Halten genervt von uns, unseren Rucksäcken und allen anderen Fahrgästen. Wir quetschen uns durch die Reihen, verstauen uns verdreht auf dem Gepäck und steigen nach eineinhalb Stunden erleichtert aus.

Die Autobahnauffahrt, die wir als ersten Spot ausgesucht haben, ist recht klein, wenige Autos werden von hier lange Strecken starten, wir warten motiviert und entspannt, werden immer wieder angesprochen und man probiert uns die Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit zu nehmen, als dann tatsächlich ein Auto hält. Es dauert, bis wir uns verständigen können, bis klar ist, dass wir sprachlich nicht fit genug sind, um das normale und für uns viel zu schnelle Spanisch zu verstehen.
Irgendwann glauben wir uns verständlich gemacht zu haben uns steigen ein.
Unser hundertster Lift auf dieser Reise!
Er fährt viel weiter, als er eigentlich muss und lässt uns der perfekten Straße raus, ab hier fahren die Leute auf jeden Fall längere Strecken, wir sind weit genug weg aus dem sich lange ausdünnenden Kreis um Buenos Aires.

Ein Paar hält, wir verstehen uns gut. Hören laut Musik zusammen und können uns in Spanisch und Englisch miteinander unterhalten. Sie sind auf dem Weg zu einem See, werden abends wieder zurück fahren und so versacken wir mit Bier und schönem Blick, Gitarre und erfahren mehr über das verworrene politische System in Argentinien. Sie bringen uns nach dem Ausflug zu einer Tankstelle, duschen, Zelt aufstellen und Abendessen. Am nächsten Morgen noch Kaffee, das heiße Wasser bekommen wir für ein paar Cent von den Automaten, die überall in Süd-Südamerika stehen, damit die Mate-Trinker ihre Thermoskannen auffüllen können.

Die dichteste Stelle unter dem löchrigen Dach

Während wir in Europa eigentlich immer probiert haben, von Tankstelle zu Tankstelle zu kommen, stellen wir uns hier meistens an die Straße. Keiner hat ein Problem am Rand zu halten und zu wenige sind unterwegs, um nur die wenigen, die tanken, anzusprechen.
Unsere Rucksäcke kommen also wieder auf die Schultern und wir stellen uns an die Straße, warten nicht allzu lange und fahren einen Ort weiter, was hier 200 km sind.

Fertig gepackt

Ein großer Kreisel, ein Knotenpunkt zwischen den schnurgeraden, geplanten Straßen und neun andere Tramper verteilt in alle Richtungen. Kurz haben wir Angst, dass viele Wartende ein schlechtes Zeichen sind, aber wir sind ja nicht in Spanien. Fast sofort werden wir mitgenommen, andere auch und neue kommen. Wir sitzen wieder mal in einem Laderaum, diesmal mit Hund. Die junge Familie ist auf dem Weg nach Hause, nimmt uns knapp eine Stunde mit und wir beobachten aus der Rückscheibe die im Nichts verschwindende Straße. Sehr selten ist mal ein weiteres Auto unterwegs, nur die niedrige, trostlose Landschaft bis zum Horizont. Ab und zu eine Ölpumpe, mehr Nichts.

Ein Zug fährt durchs Nichts

Spätes Mittagessen oder frühes Abendessen in einem Tankstellenrestaurant, was meist gute, günstige Küche bedeutet. Wir lernen eine Frau aus Deutschland kennen, sie sitzt am Nebentisch, ist Halbargentinierin und arbeitet hier auf Farmen. Wir tauschen Emailadressen aus, eigentlich nicht in der Erwartung sich nochmal zu treffen oder zu hören, eine weitere schöne Begegnung.
Die Sonne wird langsam schwächer und wir wollen noch ein letztes Mal für den Tag Strecke machen. Auf den Rucksäcken am Straßenrand, aufstehen, wenn ein Auto in der Ferne kommt und nachfragen, falls es zum Tanken raus fährt. Eine junge Familie mit Kleinstkind kommt dazu, steht am anderen Ende der Tankstelle und probiert zu trampen. Ein Mann kommt dazu, stellt sich noch weiter nach hinten, Daumen raus und wird direkt mitgenommen. Die Familie findet auch einen Fahrer, der Mann hatte uns auch angeboten, uns mitzunehmen, aber uns war die Strecke zu kurz. Ein LKW lässt hinter uns den Motor an, schnell zu ihm und fragen. Wir dürfen mit.

Letzte Sonne

Ein leerer Viehtransporter, der aber Kapazität für fünfzig erwachsene Kühe oder hundert Kälber hätte, wodurch wir ganz gut werden, Kuhherdengrößen einzuschätzen. Jedes Mal, wenn wir an einer vorbei fahren bekommen wir von Júlio die wahrscheinliche Größe genannt und mal wieder zeigt sich, das LKW-Fahrer die besten Sprachlehrer sind. Wir verstehen uns gut, er lädt uns noch ein, bei ihm unter die Dusche zu hüpfen. Wir sind bei ihm, der Fernseher ist sofort an und laut laufen Musikvideos über den Bildschirm, er erzählt uns was von einem Markt und ein paar Sekunden später sitzen wir wieder im Auto, laufen ein paar Minuten an den letzten offenen Marktständen vorbei, bekommen eine nächtliche Rundfahrt durch den Ort, holen Pizza, Bier und versacken in der kleinen Wohnung und nehmen die Übernachtungseinladung an. Nachts wird es kalt und wir haben den Herbst wieder präsent, ab Mai kann der Schnee kommen.

Am nächsten Morgen bringt er uns noch an die Straße und mit kleinem Kater sitzen wir in der immer heißer werdenden Sonne. Der Himmel immer wolkenlos, nachts sieht man seinen Atem und tagsüber ist man über jeden Schattenplatz dankbar.
Wieder ein LKW, der Fahrer aber nicht annähernd so gesprächig, aber mit ihm schaffen wir das letzte Stück nach Bahía Blanca, eine der wenigen wirklich großen Städte Argentiniens. Mit Hafen mit die wichtigste Handelsstadt und Knotenpunkt. Leider muss unser Fahrer zum Ortseingang und wir sitzen recht pessimistisch, unausgeschlafen an er grauen, heißen Straße. Hinter uns sind ein paar Pferde angepflockt, es riecht nach verbranntem Gummi. Fast nur LKW unterwegs, alle winken uns ab, von hier muss niemand weiter. Selten mal ein Auto, die meisten signalisieren uns im Ort zu bleiben. Wäre uns egal, wir wollen Kilometer für Kilometer durch die Stadt. Es ist zu heiß.

Eine Frau hält, nach ein paar Kilometern steigen wir wieder aus, überrascht, von ihr mitgenommen worden zu sein. Bei den nächsten beiden Lifts ähnlich. Warten ist anstrengend, wir wollen raus aus der Stadt. Ab und zu sieht man den Atlantik, hier schmutzig grau-braun. Wir fahren durch den Industriering um die Stadt, auch wenn wir nicht sagen können, ob das Zentrum anders aussieht. Hohe Zäune und graue Gebäudekästen mit abblätternder Farbe von den Schildern. Wir wollen die Stadt durchqueren, am liebsten noch weiter weg, aber raus als Tagesziel.
Wir sind durch den schwülen Tag müde und gedämpft, trinken noch einen Kaffee an der Tankstelle, Wasser ins Gesicht und man erkennt wieder, was für liebe Menschen einen umgeben. Die Mitarbeiterïnnen lachen uns an, unsere Stimmung wieder besser und wir mit Motivation an der Straße für das letzte Stück raus. Schnell hält wieder ein Auto, wieder eine Frau alleine. Dank ihrer Urlaubsbilder ist uns klar, wir wollen die Ruta 40 in den Süden fahren, nicht weiter an der Atlantikküste entlang, auch wenn das der schnellere Weg ist, aber wir wollen Berge statt Meer, kühleren Wind und Patagoniens Weiten.

Vielleicht schaffen wir es noch bis zur Abzweigung, und so probieren wir noch ein letztes Auto zu überzeugen uns mitzunehmen. Hinter uns eine Tankstelle und ein Parkplatz, der sich langsam mit LKW füllt. David fragt bei jedem neu ankommenden nach, ich bleibe an der Straße. Wenn wir einen Lift für den nächsten Tag organisieren, bleiben wir hier, Abendessen und Zelt klingt auch verlockend. Noch ein Auto. Ein allerletztes. Okay, nach dem hören wir auf. Und als tatsächlich der Entschluss gefasst ist, noch ein neu dazu gekommenen Laster zu fragen und dann den Tramptag zu beenden. Ich alleine an der Straße und plötzlich wird ein LKW langsamer und steht nach langem Bremsweg. Kurze starre, David kommt angerannt und zusammen mit aufgerafften Rucksäcken nach vorne.
In der Fahrerkabine angekommen, verstaut und überrascht von der Ausstattung. Marco freut sich, dass wir seinen hoch modernen LKW zu schätzen wissen, seine erste Fahrt mit diesem und zusammen probieren wir immer mehr technische Spielereien aus. Hoch und geräumig, sauber und die Musikanlage eine der besten, die wir seit langem zur Verfügung hatten. Wir quatschen ein bisschen, zeigen ihm deutsche Musik und versinken in der Landschaft.

Immer weiter geradeaus

Im Hintergrund Käptn Peng und Moop Mama, vor uns eine Kurve und dahinter ändert sich Argentinien. Die Grashalme strecken sich aus ihren zusammengeknoteten Knäuelformationen und die flachen Hügel, durch die sich die weiterhin schnurgerade Straße zieht, sind mit sich im Wind biegenden Halmen bewachsen. Alles in blasses lila der letzten Sonnenstrahlen getaucht, der Himmel in kräftigen Farben. Wir starren und staunen, solange noch Licht da ist. Die Landschaft wird wieder flach, diesmal kämpft die Vegetation nicht gegen Wind und Welt an, alles im Ausgleich.

Marco will heute noch vierhundert Kilometer fahren, ist schon seit vielen Stunden unterwegs. Ich mache es mir auf dem Bett gemütlich, David auf dem Beifahrersitz. Die Musik ändert sich, ich döse in der Dunkelheit an. Wir machen irgendwann kurz Pause, er holt sich Essen für später, wir für gleich. Die Tankstelle für Trucker, gut sortiert, für alles ausgestattet. Der Fernseher an der Wand füllt alles mit leisen Schreien von Sportkommentatoren, es duftet nach Tortillas und Empanadas.
Die argentinische Küche ist von der italienischen und der spanischen beeinflusst – und wie viele hier sagen, verbessert.
Was hier angeboten wird, ist köstlich. Der geflieste Raum voll Schüsseln mit Kräutern, gekochtem Gemüse, Teig. Pfannen auf dem großen Gasherd, kein altes Fett hängt in der Luft. Für unsere dampfende Papiertüte zahlen wir knapp einen Euro. Die Fahrerkabine duftet, Marco fährt wieder durch die Nacht, wir verspeisen unsere Empanadas und machen uns etwas Sorgen, ob er wirklich noch die ganze Strecke fahren sollte.
Das Gespräch versinkt, er fährt stoisch die Straße lang, die nicht mal durch eine kleine Kurve ablenkt. Gegen zwei Uhr Nachts halten wir wieder, er muss schlafen. Knapp an einem Unfall vorbei, er will zwei Stunden die Augen zu machen, wir werden die letzten hundert Kilometer nicht mehr mit ihm fahren. Verabschieden und wir bauen unser Zelt hinter der Tankstelle auf, ein kleines Hunderudel beobachtet uns. Die ganze Nacht über steht es im Kreis um unser Zelt, bellt von allen Seiten, man spürt die Vibration in den Isomatten. Nach ein paar unruhigen Stunden packen wir unser Zelt wieder zusammen, Kaffee trinken und einen Schattenplatz suchen.

Unser kleiner Schatten

Ein hoher Baum, der einzige hier in der Gegend, steht für uns perfekt, die Spitze des Schattens unser Platz an der Straße, und obwohl wir dem Fleckchen anfangs keine lange Lebensdauer diagnostizieren, bleibt es uns erhalten für Stunden. Wir fahren gerade nicht in den Süden, sondern nach Westen. Jede Viertelstunde hat uns die Sonne wieder eingeholt und wir rücken ein paar Zentimeter weiter die Straße runter, immer im Schatten. Verschont von der Vormittagssonne, von der Mittagssonne, am frühen Nachmittag hält ein kleines Auto. Guter Rock kommt aus der Anlage und wir sitzen neben Manuél und können die neue Landschaft bei Tag bewundern.
Es ist wieder flach, kniehohes, trockenes Gestrüpp soweit das Auge reicht. Am Horizont flache Plateaus. Einzelne Schichten, nicht hoch oder eng, unauffällig im Hintergrund. Wir verstehen uns gut, er beliefert Apotheken, ist in unserem Alter und fährt alle paar Tage diese Strecke.
In der Nacht haben wir zwei Provinzgrenzen überquert, sind raus aus Buenos Aires und den paar weiteren Kilometer Grassteppe in La Pampa, wo auch unsere sprichwörtliche Pampa vollkommen zurecht herkommt, weiter nach Rio Negro gefahren, ab jetzt langsam in der Region Patagonien, die südlichste Spitze Südamerikas, sowohl Chile als auch Argentinien umfassend.
Der lang im Hintergrund gebliebene Canyon ist jetzt vor uns, immer noch klein, aber die Vorfreude auf die bald, also argentinisch bald, kommenden Berge wächst. Durch den Berg, in eine Schlucht und wieder ändert sich alles. Die sandverwehten Gelb-Braun-Töne werden von grün abgelöst, der weite Blick von Bäumen verborgen. Apfelernte. Fast alle LKW mit Obstkisten beladen, Straßenstände ausschließlich mit Äpfeln und die Stauden ziehen Kilometer lang neben uns her. Wir trinken noch einen Kaffee zusammen, stehen wieder an der Straße und wissen nicht wirklich weiter. Es ist klar, bis Neuquén, Provinzhauptstadt der gleichnamigen Region, kommen wir noch.
Es ist mit 230.000 Einwohnern eine große Stadt, auf der Karte ohne viel zoomen sichtbar und lange die letzte, größere Stadt. Doch was dann. Wir müssen auf jeden Fall die Stadt durchqueren, es gibt nur kleine Tankstellen innerorts und noch während wir überlegen, wo man sich am besten rausschmeißen lassen sollte, ob man noch weiter soll, werden wir von einem kleinen, rostzerfressenen und auseinanderfallenden Wagen mitgenommen.
Mit Rucksäcken auf der Rückbank, Sicht und Luft von diesen weggenommen. Aber gut, wir kommen bis Neuquén. Alejandro und Héctor haben sich das Auto gerade erst gekauft, quatschen mit uns, teilen ihr Erdbeergebäck und stecken uns trotz vieler Proteste zum Abschied eine handvoll kleiner Scheine zu. Geld, was wirklich nichts wert ist.
Vor einem Jahr hat man für einen Euro zehn Pesos bekommen, inzwischen sind es siebzig. Münzen werden nicht mehr verwendet und die kleinsten Scheine sind nur ein paar Cent wert. Sie fahren uns zwar am Zentrum vorbei, trotzdem stehen wir noch mitten im Stadtgebiet im Pendlerverkehr hinter einer Ampel. Jeder Autoschwall riesig und unsere Zweifel in der Stadt stecken zu bleiben umsonst.
Schnell lässt uns ein Geologiestudent in sein Auto, nimmt uns aus der Stadt raus und als er auf die Frage nach unseren Plänen nur ein Schulterzucken bekommt, erzählt er uns von einem kostenlosen Campingplatz am Fluss, knapp einen Kilometer von der Straße entfernt. Wir machen uns auf den Weg, immer noch übermüdet auf der Suche nach etwas Ruhe.